Arthur Braun: Ein Magier?

2.: Weitere Erkenntnisse

"Die Medizin", fuhr Dr. Mayer fort, "ist in Ihrem Fall vollkommen ratlos. Man weiß weder, warum Sie in ihr rein schlafähnliches Koma fielen, während dessen Sie sogar fähig waren, zu essen, wenn Sie gefüttert wurden, noch hat man irgendeine Ahnung, wie Ihr Gehirn so perfekt in seinen Nervenverbindungen getrennt werden kann, ohne die Haut auch nur irgendwie zu verletzen. Es müssen übernatürliche, ja fast magische Kräfte gewesen sein, die beides verursachten. Aber Magie existiert nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ja nicht." "Und was ist Ihre Meinung zur Magie?", warf ich ein. "Meine Meinung aus medizinischer, ärztlicher Sicht, wie ich sie hier im Krankenhaus ausschließlich anwende und anwenden darf, richtet sich nach Fakten und - eben auch diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen." "Gibt es eine andere, private, menschliche Meinung, der all Ihr auch unmedizinisches Wissen zugrunde liegt?" "Naja... Ich meine... Also... Ich glaube, Ihnen kann ich... Oder doch nicht?... Nein, gerade Ihnen sollte ich wahrscheinlich trotzdem einiges erzählen. Das hilft uns wahrscheinlich beiden weiter..." Wußte der Arzt etwas über Magie, was er geheimhielt? Konnte er vielleicht sogar mit den Gesetzen aus meiner Erinnerung etwas anfangen? Vielleicht doch. Irgend etwas sagte mir zwar, daß ich sie nicht weitererzählen sollte, aber gleichzeitig fühlte ich auch, daß ich sie Dr. Mayer trotzdem anvertrauen konnte. Jedenfalls schilderte ich sie ihm.
Er hörte angestrengt und genau zu, schien aber nicht am Inhalt, sondern an meiner Formulierung interessiert zu sein. Als ich fertig erzählt hatte, war seine Antwort nur: "Interessant. Jetzt ist mir alles klar." Doch dann fuhr er fort, daß meine Erzählung wortwörtlich mit den "magischen Grundgesetzen" übereinstimmten, die er in einem sogenannten "Buch der Magie" gelesen hatte. Das Buch habe er einmal bei meinem Vater entdeckt.
Bei meinem Vater?!? Ja, er habe diesen ein paar Mal behandelt, sagte er, und da sei ihm einmal das Buch aufgefallen, das mein Vater neben sich liegen hatte. Als dieser einmal schlief, habe er hineingesehen, und diese auch "goldene Gesetze der Magie" genannten Zeilen erblickt, die ihn sofort faszinierten und nie mehr losließen. Es könnte nur ein Vermächtnis meines Vaters sein, daß sich diese Zeilen so stark in meinem Gehirn festgesetzt hatten. Mein Vater... wer war überhaupt mein Vater? Außerdem: Wenn mein Vater schon hier behandelt worden war, mußte man seine Adresse haben, und dort könnte ich erfahren, wo ich wohnte! Das sagte ich noch, als Dr. Mayer aber seine Arbeit fortsetzen mußte und schon das Zimmer verließ.
Die Krankenschwester, die zuvor wieder aus dem Zimmer gegangen war, als mir der Arzt meinen medizinischen Zustand schilderte, kam wieder in den Raum und erklärte mir, wo das Gewand war, das ich getragen hatte, als ich gefunden worden war. Ich nahm mir sofort meine Uhr und fragte: "Stimmt 21:14 Uhr am Samstag, dem 21. 6. 2110?", worauf die Schwester nur antwortete: "Haargenau. Eine sehr gute Uhr!" Was mir schon vorher aufgefallen war, wurde noch deutlicher: "Sie ist ja auch aus Amerika. Ich habe sie in Nashville selbst gekauft." Ich konnte mich wieder an die Uhr erinnern, nachdem ich sie wieder gesehen hatte! Wenn es auch ein praktisch unwichtiger Teil meines Gedächtnisses war, es war wenigstens irgend etwas zurückgekehrt.
"Ach ja. Sie dürfen ab morgen 3 Stunden täglich das Haus verlassen, sie müssen sich aber beim Personal ab- und anmelden, soll ich Ihnen von Dr. Mayer ausrichten.", fügte die Schwester noch hinzu, als sie das Krankenzimmer verließ. Mein erster Gedanke dazu war: "Habe ich genug Geld, um in das Stadtzentrum zu kommen?" Sofort war ich wieder beim Schrank und holte die Geldbörse aus der rechten Hosentasche. Woher wußte ich eigentlich, wo sie war? Naja, ich war jedenfalls froh, zu sehen, daß ich einiges an Geld dabeihatte und daß ich hier auch meine Ausweise fand. Ein Mopedausweis verriet mir endlich auch meine Adresse.
Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit, es war bereits halb 10, und der Belastung des Gehirns beziehungsweise der Anstrengung wegen der Ansammlung an Informationen wurde ich bereits müde, legte mich ins Bett und überdachte meine Situation nochmals, bevor ich ruhig und zufrieden einschlief. Freilich mit einer gewissen Neugier auf die Entdeckungsreise am nächsten Tag...

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© Robert Kaiser, 1997