Arthur Braun: Ein Magier?

5.: Draußen vor der Tür und drinnen bei der Nachbarin

Da war es. Naja, schön sah es nicht gerade aus. Aber häßlich auch nicht. Eigenwillig wäre wohl die richtige Definition. Für Sie als Leser und Mensch des 20. Jahrhunderts auf jeden Fall, aber auch für mich, der am Anfang des 22. Jahrhunderts lebte, sah es genauso eigenwillig aus, auch, wenn ich mich jetzt daran erinnerte. Das Wohnhaus war zweistöckig, mit einem Giebeldach versehen und die Wände waren bunt, die Farben liefen ineinander über und trotz der abnormalen Erscheinungsweise fügte es sich irgendwie harmonisch ins Bild des "neuen" und auch des "alten" Resthofes, ja, ich glaube, es hätte sogar zum mittelalterlichen Stadtkern gepaßt. Und ich wohnte in diesem bemerkenswerten Haus. Wir gingen in das obere Stockwerk und standen fast überrascht sofort vor der Tür mit der Aufschrift "Arthur Braun". "Na schön", dachte ich, als ich den Zettel, der unter dem Namensschild angebracht war, durchlas: "Diese Tür wurde von der Polizeistation Steyr-Resthof III amtlich versiegelt und darf nur im deren Auftrag geöffnet werden."
Ich sah Dr. Mayer fragend an: "Was kann das bedeuten?" "Wenn in eine Wohnung oder ein Haus eingebrochen wird oder durch Brand oder andere Fälle die Wohnungs- beziehungsweise Haustür nicht mehr schließbar ist und die Besitzer nicht anwesend sind oder die Polizei für Spuren- oder Beweise sichern muß, wird die Tür amtlich versiegelt. Das Siegel darf nur von der Polizei oder in ihrem ausdrücklichen Auftrag gebrochen werden. Wenn das der Wohnungs- oder Hauseigentümer beantragt, wird ihm meist stattgegeben." "Was heißt das für mich?" "Sie sollten zur Polizeistation Steyr-Resthof III gehen und die Öffnung ihrer Wohnung verlangen. Das dürfte wenig Probleme bereiten." "Und wie komme ich dorthin?" "Naja, Sie können ja jemanden fragen." Da öffnete sich die Tür, neben der wir standen, und eine Frau, offensichtlich also meine Nachbarin, schaute heraus. Sie war mittelgroß, mittelschlank und mittelblond, kurzum eine Durchschnittsfrau und sagte mit ihrer Durchschnittsstimme: "Oh, der Herr Arzt und sein Patient sind da. Schön, dein Zuhause, nicht? Wollt ihr kurz hereinkommen und einen Kaffee trinken?" "Gerne, Frau ..." "Ratzenberger, für dich einfach nur Brigitte. Aber vielleicht erinnerst du dich bald wieder an mich, Arthur. Wir waren früher per du. Das können wir wieder so machen, wenn du nichts dagegen hast." "Nein, nein, ... Brigitte. Nur meine Erinnerungen ..." "Ich weiß."
Wir gingen in ihre Wohnung. Sie führte uns in ein nett eingerichtetes Wohnzimmer und wir setzten uns. Während sie den Kaffee vorbereitete, fragte ich so laut, daß sie es in der Küche hören konnte: "Woher weißt du eigentlich über mein Gedächtnis Bescheid und woher kennst du Dr. Mayer?" "Ich wollte dich besuchen, als ich hörte, daß du im Krankenhaus bist. Ich war zwar dort, aber durfte dich als "schlafenden Mann" nur von der Ferne betrachten. Allerdings konnte ich mit Dr. Mayer über deinen Zustand sprechen und hörte dabei viel Interessantes. Er erzählte auch, daß man die Beobachtungen über deinen Zustand mit WorldNet und auch dem alten InterNet der ganzen Welt bekanntgeben sollte. Ist Arthur schon berühmt, Herr Doktor?" "Nein, ich habe mich zurückgehalten. Er wird noch auf seine Art berühmt werden, aber das hätte ich vielleicht gefährdet. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen." War ich so wichtig, daß ich berühmt werden konnte? War ich überhaupt wichtig? War es möglich...?
"Wegen der Polizei:", riß mich Brigitte aus diesen Gedanken, "Du brauchst nur anzurufen, sie kommen hierher. Alles andere habe ich schon geklärt. Irgendwie habe ich geahnt, daß du hinein müßtest. Ich weiß nicht, warum..." "Naja, vielleicht gibt es ja Gedankenübertragung oder so etwas ähnliches." "Wo kann ich telefonieren?" " Im Vorhaus, wo wir herein gegangen sind, steht das Telefon. Und auf der Tafel an der Wand steht die Nummer gleich neben den Notrufnummern." "Danke." Ich ging hinaus und rief die Polizeistation Resthof III an. Der dortige Beamte erklärte, es sei kein Problem, die Wohnung zu öffnen. Er käme in 5 Minuten vorbei, ich bräuchte nur kurz zu unterschreiben und könne hinein. Beruhigt kehrte ich ins Wohnzimmer zurück.
"... keine Ahnung, warum ich mir in diesen Punkten so sicher bin, aber mein Gefühl sagt mir das. Medizinisch ist der ganze Vorgang sowieso praktisch unmöglich.", hörte ich Dr. Mayer noch. "Wovon wird denn gesprochen?" "Brigitte fragte mich, ob es stimme, daß Ihr Gedächtnis wieder vollkommen zurückkehren werde und warum ich annehme, daß Sie eine überaus wichtige Aufgabe zu erfüllen hätten, - naja, meine Antwort haben Sie ja gehört." "Das allerdings." "Der Kaffee ist fertig!" Brigitte brachte das heiße Getränk samt Tassen auf einem Tablett ins Zimmer. Ja der Kaffee, wie gewohnt braun und mit 2 Löffel Zucker, schmeckte wie immer - zumindest nach meiner Erinnerung, die komischerweise gerade hier zurückkam. "Und was wirst du jetzt machen?" fragte mich Brigitte. " Keine Ahnung. Jetzt muß ich einmal schauen, was mit meiner Wohnung los ist und in meiner Vergangenheit grübeln, dann werden wir weitersehen." "In deine Wohnung wurde vor 3 Monaten eingebrochen", erzählte die Nachbarin, "allerdings konnte man nichts entdecken, das sich verändert hätte, außer daß auf deinem sonst so geordneten Schreibtisch Unordnung herrschte. Die Polizei sagte, es sei anscheinend nichts gestohlen worden, aber..." "Was 'aber'?" "...aber ich habe, als die Polizei auf Spurensuche war, noch einmal nachgesehen. Du hattest immer ein Buch, um das du immer sehr besorgt warst und das anscheinend wichtig war, obwohl nichts drinnenstand. Das habe ich nicht mehr gefunden. Aber ich dachte mir, daß ich das der Polizei nicht sagen sollte." Mir fehlten die Worte. Ich sah Dr. Mayer an. Anscheinend hatte ich doch ein "Buch der Magie" und dadurch würden meine Vermutungen bestärkt, daß ich ein Magier sein könnte. "Das war auch gut so", fiel mir als einziges zu Brigittes Bericht ein. "Die Polizei kann mit diesem Buch sowieso nichts anfangen."
"Ach ja, in dein Geheimfach, von dem du mir einen Schlüssel gegeben hast, damit er nicht verloren geht, kam niemand hinein, dort ist alles beim alten." "Geheimfach? Hast du den Schlüssel hier?" "Einen kleinen Moment." Brigitte verschwand im, wie es schien, Schlafzimmer. Plötzlich läutete es an der Wohnungstür. Ich machte auf und davor stand - wie ich erwartet hatte - ein Polizist.

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© Robert Kaiser, 1997