Arthur Braun: Ein Magier?

8.: Grau im Dunkel

Nach dem Mittagessen machte ich mich sofort auf den Weg. Ich mußte in meine Wohnung, um dort, und besonders im Computer, Informationen zu sammeln. Also, die bekannte Prozedur: Linie 2b und ein kurzes Stück zu Fuß gehen. Doch eines kam mir am ganzen Weg eigenartig vor: Viele starrten mich zuerst eigenartig prüfend an, dann steckten sie die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln. Ich hörte Gesprächsbrocken wie: "Das ist er doch." - "Ja, er sieht so aus" und ähnliches. Am Computer entdeckte ich den Grund, als ich, wie gewohnt, gleich zu Beginn die Steyrer Regionalseite des WorldNet aufrief. Von dort "klickte" ich mich weiter zur neuen Tageszeitung "Steyrer Zeitung", benannt nach einem Blatt aus dem 19. und 20. Jahrhundert - Tradition ist alles! Im WorldNet ist ein großer Teil der Zeitung schon einen halben oder sogar einen ganzen Tag früher als in der normalen Zeitung zu lesen - je nachdem, wann die Artikel verfaßt werden. Und auf der Titelseite für die Zeitung vom Dienstag sah ich die Schlagzeile "Medizinisches Wunder nach Koma!", darunter "Krankenhaus schweigt zu eigenartigen Ergebnissen" und daneben: ein Bild vom "Steyrer Wundermann" - Arthur Braun. Daher also die komischen Blicke. Ich las natürlich sofort den Artikel:


STEYR(stz). Wie uns durch eine anonyme Quelle bekannt wurde, ist im Landeskrankenhaus Steyr etwas Merkwürdiges vorgefallen, praktisch ein "medizinisches Wunder". Ein Patient wachte 9 Jahre "zu früh" aus dem Koma auf.
Doch blenden wir ein Jahr zurück: Arthur Braun, Sohn unseres bekannten Mitbürgers Robert Braun, der ja im letzten Jahr spurlos verschwand, wurde am 24. 6. 2109 mit schwerem Koma ins LKH eingeliefert. Er war in der Nähe der "Schule für besondere (mentale) Fähigkeiten" in Stadlkirchen aufgefunden worden, die er einige Tage zuvor mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Mit medizinischen Geräten wurde damals festgestellt, daß das Koma bei perfekter gesundheitlicher Verfassung, und die war gegeben, mindestens 10 Jahre anhalten müßte. Außerdem konnte eine fast unlösbare Blockade des Erlebnisgedächtnisses festgestellt werden.
Überraschend war allerdings, daß der Patient bereits diesen Samstag aufgewacht ist, also schon nach einem Jahr, obwohl, wie gesagt, ein MINIMUM von 10 Jahren festgestellt worden war. Doch das "medizinische Wunder" hat noch größere Ausmaße: Herr Braun gewinnt auch seine Erinnerungen zurück! Vor seinem Erwachen wurde vermutet, daß er nur einen kleinen Teil davon, und den nur in winzigen Happen zurückgewinnen könne. Trotzdem funktioniert es ganz anders und medizinisch völlig unverständlich: Die "Happen" werden immer größer statt kleiner, und er hat bereits einen größeren Teil seiner Erinnerungen "zurückerobert", als man es je für möglich gehalten hatte. Allerdings blieb ein stärker blockierter Bereich seiner Erinnerungen bisher völlig unberührt. All das sind keine Hypothesen, denn diese Behauptungen können medizinisch durch "Gehirnanalysen" bewiesen werden. Die Behandlung von psychischen Störungen ist normalerweise der Haupteinsatzbereich dieser neuen Technologie, wie man uns - anonym, wie alle Informationen in diesem Artikel - berichtete. Dazu Dr. Mayer, Brauns behandelnder Arzt: "Es stimmt, daß Gehirnanalysen für psychische Störungen verwendet werden, doch der praktische Einsatzbereich kann bei jeglichen Störungen des Gehirns hilfreich sein, und als Routineuntersuchung bei praktisch jedem Patienten, besonders bei Bewußtlosigkeit oder Koma, wie in diesem konkreten Fall." Zu weiteren Details über Brauns Behandlung und Zustand wollte er sich aber nicht äußern. Wir dagegen werden Sie auf dem laufenden halten.


Na spitze. Jetzt wußte praktisch die ganze Welt Bescheid. Auch Dr. Mayers Schweigen konnte dies nicht ändern. Dieser blöde Informant! Wer das wohl war? Ganz gleich, ich kannte ihn ziemlich sicher nicht. Was soll's.
Die anderen Nachrichten waren für mich allerdings uninteressant. Ich schaute dann aber nicht mehr in den "elektronischen Briefkasten", wie ich es gewohnt war, sondern durchsuchte sofort meine Privatdateien, denn ich wollte endlich wissen, ob ich jetzt ein Magier war oder nicht. Ein Dokument namens "Magischer Test" klang hier sehr gut. Ich sah es mir mit "Sentence 13.3" an und durchwühlte im nächsten Augenblick meinen Schreibtisch, denn ich suchte ein kleines Gerät, das selbsttätig "Magische Energie" messen konnte. Ein Foto davon hatte ich im angesprochenen Dokument gesehen. Schließlich hatte ich das Ding in der Hand, schloß es am Computer an, befolgte die Betriebsanweisungen vom Computer und am Bildschirm erschien folgende Meldung:
"Bitte geben Sie Ihren Namen ein:"
Ja, das konnte ich leicht erfüllen: Ich tippte "Arthur Braun" ein und am Computer konnte ich folgendes lesen:
"Der Test konnte magische Energie feststellen."
Meine Augen wurden groß. Es schien sich zu bestätigen, daß ich - so unglaublich es klang - ein Magier war, doch die Meldung ging weiter:
"Für Arthur Braun beträgt
der derzeitige Wert für magische Energie (ME-Wert):"
"ME-Wert"? Das hatte ich doch schon gehört... Ach ja, das war doch am Vormittag: Dieser Wert wurde doch in der Schulakte über mich als "unmeßbar hoch" angegeben... - Das war die Bestätigung, die ich suchte! Überraschend waren darauf aber die nächsten Zeilen der jetzigen Meldung:
"ME=20,371
Dieser Wert bedeutet, daß Arthur Braun nur
rund 20% des Durchschnittes aller Magier erreicht.
Mit diesem Minimalwert werden Sie nicht viel erreichen.
Leider!"
Also, ich war anscheinend - allerdings aber nur "ein bißchen" - Magier. Doch das brachte mich jetzt auch nicht viel weiter, denn ich hatte ein anderes Problem: Wie war der Unterschied zwischen "unmeßbar hoch" und "20% des Durchschnittes" zu erklären? Ich konnte also nicht "Licht ins Dunkel" bringen, ich sah nur "Grau im Dunkel" meiner Gedanken. Was war geschehen? Ich hatte keine Ahnung. Ich durchsuchte noch alle Dokumente und Programme am Computer, fand dabei zwar manches Interessantes, aber nichts, was mir wirklich helfen konnte. Ich hoffte daher nur mehr auf diesen eigenartigen Brunnen, zu dem ich noch fahren wollte.

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© Robert Kaiser, 1997