Arthur Braun II: Welten

6.: ...ein großer Sprung für die Beziehung

Simone kam gerade zur Wohnzimmertür herein. "Hallo Arthur." "Hallo." "Warum starrst du mich so an?" "Weil du so schön bist. Ich könnte mir keine bessere Frau wünschen." "Ich habe auch den besten Mann, den ich mir vorstellen kann. Trotzdem : Woran hast du gerade gedacht, als ich hereingekommen bin? Ich kenne diesen Blick, den du aufgesetzt hattest..."
"Ich erinnerte mich gerade an den Abend nach den 3 Briefen, damals, als wir so richtig zusammen kamen. Ich war so nervös damals Ich fürchtete ständig, daß ich mit den Briefen zu weit gegangen war." "Wirklich? Hast du damals nicht bemerkt, daß ich auch schon verliebt war?" Sie setzte sich neben mich und wir waren mitten in den Erinnerungen an die Vergangenheit. "Naja, ich vermutete es. Aber ich war mir nicht sicher." "Naja, ich auch nicht ganz. Als ich dann den ersten Brief bekam, begann ich immer stärker daran zu glauben, daß mich mein Gefühl nicht täuschen würde. Ich begann, dich in der Schule zu beobachten. Trotzdem wagte ich es nicht, dich darauf anzusprechen. Was wäre passiert, wenn das nicht dein Brief gewesen wäre? Was, wenn das deinen Gefühlen nicht entsprochen hätte? Was, wenn ich unsere Liebe schon am Beginn zerstört hätte?
Auch der zweite Brief änderte nicht viel. Ich fühlte mich unsicher, wenn wir in der Schule miteinander sprachen. Ich bemerkte zwar, daß auch du mich beobachtest, doch ich wußte nicht, ob du dafür die selben Gründe hattest wie ich, oder ob du nur meine anscheinende Wißbegierde erforschen wolltest." "Das hast du dir gedacht?" Daß ich vielleicht- wie du das formulierst - deine Wißbegierde erforschen wollte?" "Ja. Ich weiß, das klingt blöd. Ich dachte nur, du würdest mir vielleicht nur nachspionieren, um herauszufinden, warum ich mich plötzlich so eigenartig verhielt." "Das klingt nur dann blöd, wenn man das noch nicht selbst erlebt hat." "Soll das heißen, du hast das auch schon erlebt?" "Tja.... So ziemlich zum gleichen Zeitpunkt sogar..." "Du auch damals?" "Ja, warum sollte es mir anders gehen? Gedanken lesen konnte ich damals noch nicht, und hätte ich es gekonnt, hättest du deine Gedanken sicher gut genug verschlossen."
"Da hast du allerdings recht. Jedenfalls wußte ich dann nach dem 3. Brief ziemlich sicher, wer alle drei geschrieben hatte. 'I Need You' von Bobby Emperor. Ich kannte nur einen, der sich immer als 'Seelenverwandter' von Bobby Emperor bezeichnete, nur einen, der die Musik vom Anfang das 21. Jahrhunderts so gut kannte. Und ich kannte nur einen, der zum Ausdruck seiner Gefühle drei Songs mit Hang zur amerikanischen Country Music wählen würde. Daher war mir zu diesem Zeitpunkt dann ziemlich klar, woher diese Briefe stammen mußten. Aber es war schon Donnerstag Nachmittag, und am Freitag Abend wollten wir sowieso gemeinsam fortgehen. Also beschloß ich, dich am Freitag in der Schule noch nicht darauf anzusprechen. Und wirklich 100% sicher fühlte ich mich auch trotz allem noch nicht."
"Tja, und ich wurde von Tag zu Tag unsicherer. Ich war mir nicht im Klaren, daß du bei diesen Briefen sofort an mich dachtest. Du hättest ja auch zuerst an einen anderen denken können. Wie sollte ich wissen, ob es nur gute Freundschaft oder doch Liebe war, was du da für mich empfandest. Ich beobachtete dich Tag für Tag, wollte wissen, wie du auf die Briefe reagieren würdest, ob du erraten würdest, wer sie abgeschickt hatte, und - natürlich ob du Gefühle für mich zeigen würdest. Tja, ich liebte dich - und tu' das immer noch - und ich hoffte, das gleich von dir zu hören." "Und du hast es gehört." "Ja, gottseidank, aber das Happy-End kam erst am Freitag und davor lag eine Woche voller Hoffen und Bangen, voller Spannung und Nervosität.
Ich war froh, daß ich alle drei Briefe schon fertig zu Hause liegen hatte, denn während dieser Woche konnte ich kaum einen klaren Gedanken fassen. Ich hätte wahrscheinlich nicht einmal den Computer mehr richtig bedienen können, wenn ich noch dazu einen Brief an dich erst hätte verfassen müsse. Täglich überlegte ich, ob es nicht doch ein Fehler war, diese 'Aktion' zu starten, und ob ich sie noch abbrechen könnte oder vielleicht sogar sollte. Ich zitterte und sah verstohlen nach links und rechts, bevor ich einen dieser Briefe in den Postkasten warf. Und die Spannung stieg von Tag zu Tag. Ich wußte, am Donnerstag, spätestens am Freitag, mußtest du den letzten Brief bekommen. Von da an stieg die Spannung praktisch exponentiell bis zum nervenzerfetzenden Höhepunkt am Freitagabend. Jedesmal, wenn ich ich dich sah, besonders, wenn ich dir in die Augen sah, war ich komplett verwirrt - Diese Wirkung hast du jetzt, Jahre später, auch noch nicht verloren, ich kann sie noch öfters spüren..." "Trotz des Ehelebens?" "Naja, ich hab ja 'öfters' gesagt und nicht 'immer'." "Wenn du's so sagst, dann stimme ich schon zu, da kann ich dir nachfühlen, da geht's mir oft nicht viel anders..." "Freut mich."
"Erinnerst du dich an den Freitag, als der Abend endlich da war? Das große Zittern und dann mehr und mehr die Erfüllung eines Traums? Herrlich." "Das ist die richtige Beschreibung. Ich erinnere mich noch genau, wie wir uns trafen. Wie wenn wir es so abgesprochen hätten, kamen wir auf die Minute gleichzeitig zum Einkaufszentrum, vor dem wir die Autos parkten und dann zum Lokal gingen. Wir sprachen kaum miteinander, man spürte regelrecht das Knistern in der Luft." "Ja, genau so, als würde jeden Moment ein Blitz einschlagen." "Das tat er dann auch." "Naja, ein Blitz hätte uns erschlagen... Aber ein Funken sprang jedenfalls über, als sich die geladene Atmosphäre schließlich entlud." "Ja, es funkte, das steht fest."
Ich erinnerte mich, daß ich genau das gerade eben wirklich nochmals erlebt hatte, bevor ich hierher "gesprungen" war. Und ich erinnerte mich auch an einen "alten" Traum aus meiner Unterstufen-Schulzeit. Es war eigentlich kein allzu schöner Traum gewesen - zumindest von seinem Ausgang zu schließen - allerdings ein sehr intensiver, ja er hatte für einen Traum fast zu real gewirkt. Es war auch kein Alptraum gewesen, aber wäre er Realität geworden, dann wäre all dies hier nie passiert. Dann wäre mit Simone ziemlich sicher nichts mehr entstanden...

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© Robert Kaiser, 2001