Arthur Braun II: Welten

12.: Der Zauberlehrling

Und wieder passierte es: Plötzlich stand Miraculix vor mir, der große Druide, jener Mensch, der als Magier, Chemiker und Gelehrter, sogar als psychologischer Berater damals das Dorf zusammenhielt. Denn ganz Gallien war damals von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein kleines Dorf an der Küste leistet stetig Widerstand. Egal, mit wem sie es zu tun bekamen, ob mit Caesar, Kleopatra, den Briten oder sogar den Ameri... äh, Indianern, sie konnten sich und ihre Selbständigkeit immer verteidigen.
Wie gesagt, Miraculix stand vor mir, und er war ganz verwundert: "Wer sind denn Sie?" Er musterte mich von oben bis unten. "Das Gesicht erscheint mir ja eher germanisch, aber von solcher Kleidung habe ich noch nie gehört." "Das glaube ich gern", erwiderte ich sofort, obwohl ich mir nicht einmal klar war, warum ich mit ihm sprechen konnte. Da dies aber offensichtlich eine Comic-Welt war, in der ich gelandet war, wurde mir bald klar, daß dies halt halt einfach eine deutsch Fassung sein mußte... Also stellte ich mich gebührend vor: "Futurix ist mein Name. Ich bin irgendwie durch meine Zauberkräfte aus der Zukunft hierher gelangt." "Ah, auch Druide?" "So was ähnliches." "Aha, soso..." Ich hörte draußen jemanden sagen "Ich bin nicht dick! Sag' das noch mal, und ich stelle den Hinkelstein auf deine stinkenden Fische" - Der Rest versank in einem Stimmengewirr und den Geräuschen einer kleinen Schlägerei, so wie es klang. "Entschuldige bitte die Dorfbewohner, sie sind ein bißchen gereizt, es läuft das Gerücht, daß die Römer wieder einmal etwas planen... Also, wo liegt dein Problem?" "Tja, wenn ich die Magie besser im Griff hätte, besser gesagt, jenen Teil dieser Kräfte, der mich hierher gebracht hat - dann wäre mir schon um einiges wohler..."
"Jaja, die Magie..." Miraculix runzelte seine ohnehin schon faltige Stirn. "Kaum hat man ein paar Fähigkeiten gewonnen, soll man sie schon voll unter Kontrolle haben." Er dürfte auch schon mit so etwas Erfahrungen gesammelt haben, schloß ich aus seinen Worten. "Und meistens hat man sich selbst am wenigsten unter Kontrolle. Schon so mancher Druide ist über seinen eigenen Bart gestolpert." Wenn das dieser Mann sagte, mußte man ihm einfach glauben, war doch sein Bart und dessen Länge auch fast legendär...
Ob wohl Merlin, der berühmteste Zauberer - oder Magier - der Vergangenheit ähnliche Probleme erfahren hatte? Ich sollte es gleich erfahren, denn kurz nach diesem Gedanken fand ich mich auch schon im mittelalterlichen England wieder - zumindest in einer Version davon. Merlin marschierte gerade durch den Wald, als ich ihn traf. "Guten Tag, mein Name ist Braun, Arthur Braun, ich hätte eine Frage." "Sehr erfreut, ich bin Merlin, welches Problem haben Sie?" "Ich brauche einen absoluten Fachmann der Magie. Für mich kamen da nur Sie in Frage." "Das freut mich - auch in diesem Fach tätig?" "Richtig, allerdings ein paar Jahrhunderte später." "Ah, ja, keim Problem, unsere Kunst ist zeitlos." Er schmunzelte. "Ich habe in den Aufzeichnungen meines Vaters einen Spruch gefunden, und ehe ich mich versah, sprang ich durch Zeit, Raum und verschiedene Realitätsebenen - also durch alle möglichen Welten." "Welcher Spruch war das?" "Er nannte sich 'E UNIVERSIS UNUM'." "Oh." Merlin bekam große Augen. "Wenn Sie mit diesem Spruch überhaupt etwas anfangen können, gehören Sie jedenfalls zu einer auserlesenen Schar. Da wundert mich Ihr Problem allerdings auch nicht mehr. Ist diese Macht, diese Fähigkeit einmal entfesselt, erfordert sie ein Höchstmaß an Kontrolle, Beherrschung und Konzentration wie man es bei kaum einer anderen findet."
"In diesen Kategorien hätte ich mich in den letzten Jahren ganz gut bewährt, hatte ich gedacht..." "Sie haben den Spruch in Aufzeichnungen entdeckt? Und die Macht wirkte?" Ich nickte. "Da muß die Macht wie mit einem feinen, seidenen Faden an das Papier gebunden gewesen sein, und sie haben sie befreit und aufgenommen. Ein faszinierendes Werk. Wer so etwas machte, hat sicher auch den Circus Universalis hinterlassen. War eine Zeichnung bei diesen Schriften?" "Ja, eine Art Kreis." "Genau die meine ich. Der Circus Universalis zeigt, wie sich Orte, Zeiten und Realitätsebenen gruppieren und sich zu einem Ganzen vereinen. Mit Ihrer Macht können Sie dieses Ganze wie ein Koordinatensystem zur Bestimmung Ihres Aufenthaltes verwenden und sich darin frei bewegen."
"Und wie kann ich mit all dem richtig umgehen?" "Sie müssen sich immer das Bewußtsein erhalten, woher sie eigentlich kommen, um nicht den Kopf zu verlieren. So können Sie jederzeit zum Ausgangspunkt - ins "normale" Leben - zurückkehren. Bleiben Sie geistesgegenwärtig, behalten SIe Ihre Herkunft im Kopf - und erst dann denken Sie an jene Welt, in die Sie gerne wollen, an jene 'Koordinaten', bei denen Sie landen wollen, und Sie werden dort sein." "Klingt sehr gut, und nach den Erlebnissen, die ich gerade hinter mir habe, sehr glaubhaft. Aber es scheint schwierig, immer 2 Aufenthaltsorte beziehungsweise Welten im Kopf zu behalten. Naja, wir werden ja sehen..."
Hmm, das war ja eine ganz interessante und spannende Sache, wenn ich mich überall hin bewegen konnte, wo ich hin wollte...
Da fiel mir ein, ich wollte schon immer gerne einmal nach Amerika. Ich dachte schnell mal an jenen Punkt auf der Landkarte, der die Position von New York angab - und schon stand ich an der Küste. Das Gelände rund um mich war leer. Steppe. Weit in der Ferne stieg Staub auf, der von einer Büffelherde aufgewirbelt wurde. In einer anderen Richtung sah man ein Indianerlager stehen. Und die Insel da draußen wäre gerade groß genug für die Freiheitsstatue gewesen. Apropos: Wo war die überhaupt? Hatte ich nicht nach New York wollen? Stimmt, ich wollte doch nach New York!
Plötzlich hatte sich wieder alles verändert. Auf der kleinen Insel, die ich gerade bewundert hatte, stand wirklich die Statue, ich stand auf einer Straße in Manhattan, die Küste war dicht mit Hochhäusern besetzt. Wahrscheinlich hatte ich mich vorher in der Zeit geirrt, dachte ich grinsend. Tja, zu Merlins Zeiten hat es da sicher noch anders ausgesehen, dachte ich, während ich die gelben Taxis musterte, die an mir vorüberzogen.
Unsere heutige Zeit ist wirklich ein bißchen anders, versank ich in Gedanken und genoß das Gefühl, diese Macht, die mich durch alle möglichen Welten "geworfen" hatte, endlich halbwegs unter Kontrolle zu haben und Steuern zu können. Es war wirklich aus allen Orten, Zeiten und Ebenen, aus allen Welten für mich eine Einheit geworden, auch meine Gedanken gewöhnten sich langsam daran: E UNIVERSIS UNUM.

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© Robert Kaiser, 2001