Arthur Braun: Ein Magier?

1.: Wer, wann, wo bin ich?

"Die Kraftstärke eines Magiers hängt davon ab, ob sein magischer Elternteil, von dem er die Kraft bezieht, bis zu dessen Geburt seine magischen Kräfte für gute oder für schlechte Zwecke eingesetzt hat, da Magie IMMER positive Energie ist. Durch die selben Gründe kann sich die angesprochene Stärke auch während des Lebens ändern. Der Fluß von magischen Kräften zwischen Geschwistern oder zwischen Kind und magischem Elternteil ist möglich, der völlige Entzug der magischen Kräfte jedoch niemals."
Diese Zeilen und ein Mädchengesicht erschienen mir vor den Augen, als ich erwachte. Ich konnte mit beiden wenig anfangen, doch vielleicht würde sich etwas ergeben, wenn ich wüßte, wo ich war, dachte ich. Doch als ich die Augen aufriß, blendete mich nur das grelle weiße Licht und ich mußte sie wieder schließen. Nach einem Versuch, meine schwerfälligen Augen nochmals, diesmal vorsichtig und langsam, zu öffnen, konnte ich den Raum, in dem ich mich befand, erkennen. Komisch, warum sah mein Zimmer plötzlich aus, wie wenn es im Krankenhaus wäre? Ein Blick über mein Bett verschaffte mir Klarheit: Von einem dreieckigen Bügel baumelte ein fernsteuerungsähnliches Gebilde, das aber nur einen, roten, Knopf besaß, unter dem, ich mußte es dreimal lesen, bevor ich es glauben konnte, auf einem Aufkleber das Wort "Schwester" prangte. Ich war also wirklich im Krankenhaus.
Ich fühlte mich wohl, also versuchte ich aufzustehen, was aber daran scheiterte, daß mir sofort schwindlig wurde, als ich den Oberkörper vollständig aufgerichtet hatte. Daraus folgerte ich, daß mein "Schlaf" sehr lange gedauert haben mußte, vielleicht war ich sogar ein paar Tage im Koma gelegen. Ich versuchte zu rekonstruieren, wie ich hierher gekommen war, als ich bemerkte, daß ich eigentlich keinen Schimmer hatte, was je vor dem Aufwachen geschehen war. Alle persönlichen Erinnerungen schienen ausgelöscht bis hin zu meinem eigenen Namen. Also hatte ich vorerst 3 Fragen zu erkunden: Wer war ich, wo war ich, wann war ich und, gegenüber diesen eher zweitrangig als vierte Frage: Warum, zum Teufel, war ich hier?
Um mir wenigstens ein bißchen Klarheit zu verschaffen, griff ich zu und drückte den roten Knopf, auf den ich schon die ganze Zeit gestarrt hatte. Bestürzt, mit bleichem Gesicht und mit einem Zettel und einer Schreibunterlage in der Hand stürzte eine junge Krankenschwester ins Zimmer. Ich versuchte, ihr im Kopf das Gesicht aus meiner Erinnerung aufzusetzen, die Unterschiede waren aber zu deutlich, als daß sie es sein konnte. Nachdem sie meine offenen Augen erblickt hatte, notierte sie hastig etwas auf den Zettel, wobei sie so erstaunt und nervös wirkte, daß ich mir nicht vorstellen konnte, daß ihre Schrift zu diesem Zeitpunkt leserlich war. Als ich sie aber fragte, was denn los sei, verlor sie vollständig die Fassung, rief erschrocken "Er spricht!", ließ Zettel und Unterlage aus ihren zitternden Händen fallen und rannte völlig aus dem Häuschen zur Tür hinaus. Jetzt war ich endgültig verwirrt. Mir war ja zuvor auch nicht klar gewesen, was vorging, aber jetzt war ich, wie gesagt, wirklich endgültig verwirrt.
Trotzdem versuchte ich noch einmal aufzustehen, um den Zettel, der am Boden lag, aufzuheben und - ich war wirklich begeistert! Ich konnte mich für die kurze Zeit, die ich benötigte, sogar auf den Füßen halten, um ruhig und zufrieden, mit dem Zettel in der Hand in das Bett zurückzusinken. Nach einer kurzen Pause sah ich mir den Zettel genau an. Er war "Krankheitsverlaufkalenderblatt" überschrieben, Tag für Tag wurde der Zustand des Patienten darauf notiert. Zuerst fiel mir das in der linken oberen Ecke plazierte Krankenhauslogo auf. Dort konnte ich die Worte "LKH (Landeskrankenhaus) Steyr, OÖ" lesen. Ich war also in Steyr. Na gut. Diesen Namen kannte ich wenigstens. Unter der Überschrift "Personalien" fand ich aber noch Wichtigeres:

Name des Patienten: Arthur Braun
Beruf: unbekannt
Geburtsdatum: 13. 9. 2092
Wohnadresse: unbekannt
PLZ, Ort: unbekannt (Steyr?)
In Behandlung seit: 24. 6. 2109
Diagnose: Koma ohne absehbare Gründe
Voraussichtl. Beh.-Zeit: 10 bis 11 Jahre

So war das also. Arthur Braun. Meinen Namen sollte ich mir wenigstens merken. Da das Kalenderblatt mit "2. Quartal 2110" überschrieben war und die letzte Eintragung (ein zittriges, kaum leserliches "aufgewacht") am 21. des dritten Monats gemacht worden war, schloß ich, daß heute der 21. 6. 2110 war und ich daher 17, eigentlich schon fast 18 Jahre alt war und auch, daß ich hier schon fast 1 Jahr in Behandlung war, das heißt aber auch, daß ich anscheinend 9 bis 10 Jahre zuwenig lang geschlafen hatte! Meine wichtigsten Personalien wußte ich wenigstens, wenn mich auch meine Adresse sehr interessiert hätte. Vielleicht ergab sich noch eine Möglichkeit, hoffte ich, als sich die Tür abermals öffnete.
Ein nach dem Aussehen ca. 50jähriger Arzt betrat den Raum zusammen mit der schon gefaßter aussehenden jungen Krankenschwester. Als er das Kalenderblatt in meiner Hand entdeckte, sagte er: "Guten Morgen, Herr Braun! Ich bin ihr behandelnder Arzt, Dr. Alois Mayer. Wie ich sehe, haben Sie sich schon über ihre Person informiert. Ich bin selbst sehr überrascht, daß ich Sie heute schon auf den Beinen sehe. Ich schätzte ja, daß Sie noch für ca. 9 Jahre ein so pflegeleichter Patient wie bisher bleiben würden. So kann man sich täuschen... Wie fühlen Sie sich übrigens?" Ich antwortete, daß ich keine Probleme hatte, außer mein fehlendes Erinnerungsvermögen. Er erzählte mir, daß er das geahnt hatte. Ich sei zwar körperlich komplett in Ordnung, mein Erlebnisgedächtnis ist aber bis auf einen winzigen Bereich zum restlichen Gehirn ohne Verbindung. Das heißt, wenn ich das Gehirn richtig beanspruchte, würde ich die Chance haben, wieder Verbindungen zu schaffen und Erinnerungen zurückzugewinnen.

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© Robert Kaiser, 1995-1997